Sedierung
Sedierung bedeutet, das Bewusstsein eines Kranken zu reduzieren. Man kann die Tiefe der Sedierung durch Beobachtung über 20 Sekunden und anhand der modifizierten Richmond Agitation Scale, RASS-PAL-Tabelle abschätzen (S.H.Bush 2014):
Grad |
Bezeichnung |
Beschreibung |
0 |
Wach & ruhig |
Unauffälliges Bewusstsein |
-1 |
Schläfrig |
Nicht hellwach. Wache Phasen ≥ 10 sec. nach Ansprache (Augenkontakt) |
-2 |
Leicht sediert |
Kurze Wachphasen < 10 sec. nach Ansprechen |
-3 |
Mäßig sediert |
Nach Ansprechen Körper-, Augenbewegung oder Augenöffnung ohne Augenkontakt |
-4 |
Tief sediert |
Keine Reaktion auf Ansprechen. Körper- oder Augenbewegung bei leichter Berührung |
-5 |
Nicht weckbar |
Keine Reaktion auf Stimme oder Berührung |
Als leicht sediert kann man einen Patienten bezeichnen, der nach RASS-PAL bei Grad -1 bis -3 liegt, tief sediert sind Patienten der Grade -4 und -5. Früher sprach man von »terminaler Sedierung«, was eigentlich eine Sedierung beschrieb, die kurz vor dem Tod stattfand. Heute spricht man von palliativer Sedierung [pS], weil es Indikationen schon weit vor dem Tod geben kann. Eine pS kann zeitweise (temporär) notwendig werden, sie kann auch dauerhaft durchgeführt werden.
Indikationen
Für eine pS gibt es zwei Haupt-Indikationsfelder: (a) Die pS nach Therapiezieländerung und Absetzen der lebenserhaltenden Maßnahmen, z.B. auf Intensivstationen; (b) die pS bei anders nicht kontrollierbaren (refraktären) Symptomen. »Palliative Sedierung bedeutet im Zusammenhang mit palliativer Medizin eine überwachte Medikation mit dem Ziel der Verminderung des Bewusstseins, um anders nicht behandelbares Leid erträglich zu machen, auf eine Weise, die für den Patienten, die Familie und die Pflegekräfte und Ärzte akzeptiert werden kann.« (N.I. Cherny 2009).
In großen Palliativeinrichtungen fand man pS in 14-25% der insgesamt über 3000 Patienten. In einer kleineren Untersuchung (E.Schildmann 2022) zur dauerhaften pS an 260 Patienten gab es folgende Indikationen (Mehrfachnennungen): Ruhelosigkeit 55%, Angst 41%, Schmerzen 10), Atemnot 11%, Schlaflosigkeit 2%, Delir/Halluzination 2%. Und man fand in 29% keine Dokumentation der Indikation (was rechtliche Probleme bereiten könnte). Die tödlichen Grunderkrankungen waren bösartige Tumoren (53%), neurologische Erkrankungen (61%), kardiovaskuläre Erkrankungen (26%), Atemwegskrankheiten (14%).
Aufklärung
Der Patient (oder sein Vertreter) muss einer pS zustimmen. Dazu muss er über Nutzen und Schaden aufgeklärt werden. Man muss sich einigen über den Zeitpunkt des Beginns, über zeitweise oder dauerhafte Sedierung und über die Tiefe der pS. Hier gibt es oft Probleme: Die Aufklärung war ungenügend; der Patient war nicht mehr einwilligungsfähig; die Angehörigen haben einen anderen Willen als der Patient; eine Patientenverfügung wird unterschiedlich interpretiert; Symptome, Therapieziel und Indikation werden nicht dokumentiert.
Dokumentation der Symptome
Eine pS ist eine symptomorientierte Behandlung, also müssen die Symptome und ihre therapeutische Beeinflussung dokumentiert werden. Dazu genügt ein sehr einfacher Dokumentationsbogen wie MIDOS (S. Stiel 2010), siehe Anhang. MIDOS kann auch zur Dokumentation des Verlaufs verwendet werden. Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin bietet weitere Dokumentationshilfen an (https://www.dgpalliativmedizin.de/category/3-pba-dokumentationshilfen.html).
Symptome sind refraktär, wenn sie nicht oder ungenügend auf eine Therapie ansprechen; wenn die medikamentöse Dosierung ausgereizt ist, d.h. der Schaden den Nutzen überwiegt; wenn nicht-medikamentöse Therapieformen nicht wirken.
Medikamente
In der o.g. Untersuchung (E. Schildmann 2022) wurde Midazolam in 87% der pS angewandt, gefolgt von Lorazepam (19%). In anderen Berichten wurden auch Promethazin, Clonazepam, Haloperidol, Levomepromazin oder Propofol gegeben. Diese Stoffe eigenen sich unterschiedlich für akute Anwendungen, zeitweise oder dauerhafte pS. Dosierungen gebe ich hier nicht an, weil nur der erfahrene Facharzt darüber zu entscheiden hat. Hinweise findet man bei www.netzwerk-palliativmedizin-essen.de.
Ausführung
Die erforderliche Tiefe der Sedierung hängt einerseits von der Symptomatik ab, andererseits vom Patientenwillen. Selten ist ein Sedierungsgrad RASS-PAL -5 erforderlich, der gut begründet sein muss. Da Menschen am Lebensende oder bei schwerer Krankheit einen veränderten Stoffwechsel haben können, d.h. Medikamente langsamer abbauen und ausscheiden, sollte man mit niedrigen Dosierungen beginnen und sich an die erforderliche Dosis herantasten. Wenn der Patient wach bleiben will, um kommunizieren zu können, kommt eine zeitweise pS in Betracht. Man kann bei dauerhafter pS auch die Dosis zeitweise reduzieren, um z.B. Kontakt zu Angehörigen zu erhalten.
Das multiprofessionelle Team sollte sich über die Indikation zur pS absprechen. Eine Ethikberatung ggf. auch der Angehörigen kann sinnvoll sein. In schwierigen Fällen zieht man Spezialisten hinzu, z.B. Anästhesisten, Schmerztherapeuten, Psychologen, Psychiater, Seelsorger etc.
Sonderfall: Beenden lebenserhaltender Maßnahmen
Wenn auf Intensivstationen das kurative Therapieziel nicht mehr erreicht werden kann, gibt es keine Indikation zur Fortsetzung der lebenserhaltenden Maßnahmen mehr. Werden die Maßnahmen stufenweise abgesetzt, wird der Patient sterben. In dieser Sterbephase ist eine palliative Versorgung erforderlich. Hier bleiben die Symptome oft nur mit einer tiefen Sedierung erträglich, erträglich auch für Angehörige und Pflegekräfte.
Medizinethische Fragen
Aktive Sterbehilfe: Eine Frage taucht immer wieder auf: Ist die pS eine aktive Sterbehilfe? Das Ziel der aktiven Sterbehilfe ist die Tötung eines Patienten. Hingegen ist das Ziel der pS die anders nicht zu erreichende Symptomkontrolle. Deshalb muss das (1) Therapieziel unbedingt dokumentiert werden; (2) muss man nachweisen können, dass die Symptome refraktär sind; (3) müssen die Symptome im Verlauf dokumentiert werden und deren Ansprechen auf die pS.
Indirekte Sterbehilfe: Wenn durch eine notwendige und zielführende Therapie das Leben um kurze Zeitspanne verkürzt wird, spricht man von indirekter Sterbehilfe. Eine pS könnte durchaus das Leben verkürzen, wenn auch die wissenschaftliche Erkenntnis zeigt, dass die Überlebenszeit von Tumorpatienten unter dauerhafter pS nicht verkürzt wurde.
Autonomie: Eine pS kann völlig unautonom machen. Deshalb sind ggf. wichtige Entscheidungen vor der pS mit dem Patienten zu besprechen. Es sollte auch eine Abstimmung mit dem (Not-)Vertreter geben.
Gutes tun und nicht schaden: Symptomfreiheit kann ein höheres Gut sein als das Überleben. Das kann nur der Patient selbst entscheiden.
Würde: Es ist demütigend (und entwürdigend), den Patienten mit schweren Symptomen sterben zu lassen. Wir sollen ihm ein würdevolles Leben bis zum Tod ermöglichen.
Palliative Sedierung im Pflegeheim
Die Berichte über pS in Alten- und Pflegeheimen nehmen zu. Einerseits ist es zu begrüßen, wenn palliative Kompetenz in den Heimen anwächst und die Patienten nicht verlegt werden müssen. Andererseits ist die Anwendung der pS in den Heimen keineswegs banal: Gibt es genügend qualifizierte Pflegekräfte, die eine pS überwachen können? Wie steht es um die Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen der behandelnden Hausärzte? Werden ambulante Palliativdienste eingebunden? Kann man Spezialisten anfordern? Es wird sehr von den örtlichen Situationen abhängen, ob man im Heim eine pS durchführen will.
Palliative Sedierung zu Hause
Vereinzelt gibt es Berichte über die pS in der häuslichen Umgebung. Offensichtlich wünschen das viele Patienten und deren Angehörige (A.C.M. Garcia 2022). Die Probleme verschärfen sich: Gibt es genügend palliative Kompetenz? Wie wird die Dosierung überwacht? Wie eng ist die Betreuung durch Pflegekräfte und Hausärzte?
Extrakt
Palliative Sedierung ist eine verantwortungsvolle Aufgabe. Sie erfordert pflegerische und ärztliche Kompetenz. Sie ist an die refraktäre Symptomatik anzupassen. Alle Schritte von Indikation bis Durchführung sind sorgfältig zu dokumentieren. Wichtig ist die Kommunikation mit dem Patienten und seinen Angehörigen ebenso wie im Behandlungsteam.
Literatur
Bush S.H. et al.: The Richmond Agitation-Scale modified for palliative care inpatients (RASS-PAL). BMC Palliative Care 2014, 13:17 1186/1472-684X-13-17.
Cherny N.I. et al.: European Association for Palliative Care (EACP) recommended framework for the use of sedation in palliative care. Palliative Medicine 2009, 23, 581-593.
Garcia A.C.M. et al.: Paliative Sedation at Home. A Scoping Review. Am J Hospice 2022, 0, 1-10.
Schildmann E., Meesters S. et al.: Sedativa und Sedierung am Lebensende im Krankenhaus. Dt. Ärzteblatt 2002, 119, 373-379.
Stiel S. et al: Validerung der neuen Fassung des Minimalen Dokumentationssystems (/MIDOS2) für Patienten in der Palliativmedizin. Schmerz 2010, 24, 596-604.