Wenn wir von einer gebotenen Wirtschaftlichkeit sprechen gehen die Vorstellungen darüber weit auseinander. In der Medizin kann nicht Gewinnmaximierung gemeint sein, denn unser primärer Zweck (und unsere Daseinsberechtigung) ist nicht der Gewinn, sondern die Sorge für das Patientenwohl, also für Gesundheit und Wohlbefinden. Wirtschaftlichkeit bedeutet für mich, mit den vorhandenen Mitteln zwar sparsam umzugehen, dem Ziel Patientenwohl aber dennoch näher zu kommen - weil dieses tatsächlich zu erreichen, hängt nicht nur von unseren ärztlichen Fähigkeiten ab.
Eine medizinische Handlung ist dann indiziert, wenn sie zielführend und notwendig ist, wenn Nutzenchance und Schadenrisiko in einem vertretbaren Verhältnis liegen, wenn sie wissenschaftlich begründet ist, wenn sie die Regeln der ärztlichen Kunst einhält. Unsere einsetzbaren Mittel sind Zeit, Geld, Personal und Material und die sind immer begrenzt. Verschwendung in der Medizin bedeutet also vor allem, die Regeln der Indikation zu missachten, z.B. nicht zielführend zu arbeiten, z.B. nicht notwendige Handlungen zu tun.
Wer von Über- oder Unterversorgung spricht muss genaue Vorstellungen davon haben, was die »richtige« Versorgung wäre. Die Gesellschaft für Allgemeinmedizin definiert es so: Alles was über den Bedarf hinausgeht [www.degam.de/degam-leitlinien-379, 2022]. Es folgt die Frage: Was ist »Bedarf«. Dazu sagen die Allgemeinärzte: »Versorgungsbedarf bezeichnet einen Zustand, dessen Behandlung gesundheitlichen Nutzen erwarten lässt. Überversorgung ist Versorgung, die über die Bedarfsdeckung hinausgeht. Die erbrachten Leistungen sind meist ohne hinreichenden Nutzen oder nicht indiziert. Unterversorgung besteht, wenn bei anerkanntem Bedarf die Versorgung ganz oder teilweise nicht erfolgt, obwohl sie mit hinreichend gesichertem Nutzen und effizient zur Verfügung steht. Überdiagnostik bezeichnet diagnostische Maßnahmen, die für das Erkennen einer Erkrankung oder für die Therapieentscheidung überflüssig sind bzw. deren Nutzen durch Schäden kompensiert wird, also Überversorgung sind. Zu den Schäden der Überdiagnostik zählen auch Überdiagnosen und deren Folgen, insbesondere Überbehandlungen.«
Ein Therapieziel vereinbart man mit dem Patienten. Schon in diesem Gespräch ist zu klären, ob das Therapieziel mit diesem Menschen überhaupt erreichbar ist. Dafür gibt es reichlich Literatur und unsere langjährige Erfahrung ist für diese Fragestellung ebenso wichtig. Wir können nur tatsächlich realisierbare Therapieziele vereinbaren. Ob wir sie erreichen werden, kann nie versprochen werden. Deshalb schließen wir üblicherweise keine Werkverträge mit dem Patienten ab, in welchen ja das optimale Ergebnis oder Produkt einer Handlung versprochen wird. Wir schließen Behandlungsverträge ab, in denen unter den gegebenen Umständen eine optimale Behandlung zugesichert wird - und das ist anspruchsvoll genug. Nie erreichbare Therapieziele sind eine Ursache für nutzlos eingesetzte Mittel, die deshalb auch nicht indiziert wären.
Ein Gespräch mit dem Patienten bedeutet gut investierte Zeit in die erforderliche Beziehung. Beziehungen zwischen Menschen entwickeln sich nun mal über das Kommunizieren. Ohne gute Arzt-Patienten-Beziehung wird es nicht möglich sein, eine gemeinsame Gewissheitsbasis (»interindividuelle Wahrheit«) für die zukünftigen Handlungen zu entwickeln. Denn beide, der Arzt und der Patient arbeiten zusammen an der Gesundung. Übrigens schadet es nie, die Angehörigen in diese Gewissheit einzubinden, denn sie sind das soziale Umfeld, auf das unser Patienten angewiesen bleibt. Solche intensive Gespräche kosten Zeit. Wenn im Rahmen der Industrialisierung der Medizin kleinteilige Arbeitsabschnitte fließbandmäßig eng getaktet werden, bleibt keine Zeit. Wenn eine solche Industrialisierung gewollt ist, ist auch kein intensives Arzt-Patienten-Gespräch gewollt, weil es die Abläufe nur stört. Es ist zu fragen, was dem Patientenwohl eher dient, der industrielle Ablauf oder die Beziehung. Gesprächszeit ist im Sinn des Patientenwohls nie Verschwendung.
Geld ist nie genügend vorhanden, das ist der Ursprung der Ökonomik. Wir müssen uns auch in der Medizin nach der Decke strecken und irgendwie zurecht kommen. Deshalb braucht z.B. ein Krankenhaus eine gut eingespielte Ökonomie. Rationalisierung ist eines ihrer Mittel, also die zielführende und sparsame Steuerung der Abläufe und Ressourcen. Das ist eine nie endende Aufgabe, weil sich die ökonomischen ebenso wie die medizinischen Umgebungsbedingungen ständig ändern. Die medizinische Seite und die ökonomische Seite müssen sich dabei einig sein, welche Ziele sie im Auge haben. Wir sollten beide Bereiche getrennt halten aber im ständigen Dialog bleiben. Reine Gewinnmaximierung auf Kosten des Patienten kann kein medizinisches Ziel sein.
Ohne ärztliche und nicht-ärztliche Mitarbeiter kann man ein Krankenhaus nicht betreiben. Sie stehen mit ihren Kenntnissen, Fertigkeiten und Erfahrungen im täglichen Einsatz für das Patientenwohl. Und damit sind sie ausgelastet, inzwischen oft überlastet. Wer ökonomische Ziele immer nur durch Streichung von Arbeitsstellen durchsetzt, hat nicht verstanden, wie ein gutes Krankenhaus funktioniert. Achtsame Zuwendung hilft dem Patienten ungemein und dafür braucht man Mitarbeiter mit genügend Zeit. Hier wäre mehr ökonomische Kreativität sicher nicht schädlich. Ist es nicht eigentlich Verschwendung, wenn mit der Entlassung langjähriger Mitarbeiter auch die erforderlichen Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen verloren gehen?
Wir müssen unter ökologischen Gesichtspunkten über die Materialschlacht im Krankenhaus nachdenken. Wir verwenden vorzugsweise Einmal-Material, darunter auch teure Gerätschaften. Krankenhausmüll stellt eine echte Herausforderung für die Entsorger dar. Infektiöses oder schadstoffbelastetes Material ist für deren Mitarbeiter gefährlich. Auch die Bearbeitung der übrigen Abfälle aus Plastik, Gummi, Glas, Metall, Papier ist ziemlich anspruchsvoll. Muss wirklich so viel Einmal-Material verwendet werden? Wäre es ökologisch nicht sinnvoller zu rezyklieren? Ganz offensichtlich muss man auch die diversen Entsorgungsvorschriften revidieren. Hier geht viel Geld verloren, ob man von Verschwendung sprechen kann, hängt von den vielbeschworenen Werten der Institution ab.
Die Möglichkeiten in der praktischen Medizin, unwirtschaftlich zu handeln, sind unbegrenzt. Hier einige Beispiele.
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Je mehr Sicherheit man in der Diagnostik oder Therapie fordert, desto mehr kostet die medizinische Handlung. Basisuntersuchungen sind preiswert, Spezialuntersuchungen teuer. Wie viel diagnostische Sicherheit braucht es, um darauf eine Behandlungsindikation zu gründen? In lebensbedrohlichen Situationen reicht schon der gut begründete Verdacht einer Diagnose, um entsprechend lebensrettend zu agieren. Je elektiver eine Behandlung ist, desto sicherer will man Misserfolge der Behandlung ausschließen.
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Mit Eintritt ins Krankenhaus werden viele mitgebrachte Befunde erneut erhoben. Diese doppelten Untersuchungen erhöhen die diagnostische Sicherheit selten.
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Im Krankenhaus gibt es viele diagnostische und therapeutische Routinen. Einerseits reduzieren Routinen die Fehlerhäufigkeit, andererseits sind sie nicht bei jedem Patienten gleichermaßen sinnvoll. Jemand muss die Verantwortung übernehmen, in einem speziellen Fall die Routine zu verlassen.
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Es gibt viele Nachsorge-Termine, die keine therapeutische Konsequenz haben. Sie sind nutzlos, bzw. liegt der Nutzen nicht beim Patienten.
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Die meisten sogenannten Vorsorgetermine - es handelt sich um Früherkennungen - entdecken zu wenig gut therapierbare Krankheiten und es ist kaum nachweisbar, dass so die Überlebenszeit verlängert wird. Dieses unausgesprochene Versprechen ist oft nicht einzuhalten.
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Routine Check-Ups sollen den Klienten in der Gewissheit bestätigen, dass er gesund sei. Dabei wissen wir nicht einmal, was genau Gesund-Sein bedeutet. Ärzte können allenfalls sagen, sie hätten nichts krankhaftes gefunden.
Die Liste der medizinischen Nutzlosigkeiten könnte mühelos erweitert werden. Die Verschwendung in der Medizin zu verringern ist eine Herkulesaufgabe, die politisch niemand anpacken will. Unsere nahezu jährlichen Gesundheitsreformen waren diesbezüglich ineffektiv. Sie konnten zu einfach unterlaufen werden. Womöglich ist die Verschwendung auf der Ebene der Fachgesellschaften leichter zu begrenzen. Es gibt eine Initiative der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin: Klug entscheiden [https://www.klug-entscheiden.com/]. Sie legt für viele Krankheitsbilder die rationale Basis für notwendige, zielführende und wirtschaftliche Maßnahmen in Diagnostik und Therapie.
Eine eingreifendere Möglichkeit effizienter zu werden, ist die Priorisierung teurer Gesundheitsleistungen, wie sie z.B. in Schweden schon länger praktiziert wird [https://www.aerzteblatt.de/archiv/64746/Priorisierung-Vom-schwedischen-Vorbild-lernen]. Dort haben Fachgesellschaften und Politiker über die Notwendigkeit und wahrscheinliche Effektivität einer Diagnostik oder Behandlung entschieden. Je eher eine Maßnahme notwendig und zielführend ist, desto sicherer wird die Finanzierung durch die Krankenkassen. Leider ist bei uns in Deutschland die Priorisierungs-Diskussion, die um 2009/10 kurz aufflammte, wieder erloschen.
Klug entscheiden und Priosisierungen wären gute Werkzeuge gegen die Verschwendung im Gesundheitswesen. Sie wären auch medizinisch und pflegerisch gut zu begründen. Sie könnten regelmäßig revidiert werden, um sie an neue Situationen anzupassen. Sie würden allerdings den Einfluss der Gesundheitsmarkt-Lobby erheblich einschränken.