Die Begleitung der Willensbildung bei Advance Care Planning [ACP] ist anspruchsvoll. Die Gespächsbegleiter müssen dazu zumindest oberflächliche Kenntnisse zu einigen häufigeren Krankheitsbildern im fortgeschrittenen Lebensalter haben. Unsere ACP-Klienten sind oft überfordert, sich lebensbedrohliche Krankheitsbilder abstrakt vorzustellen. Sie sollen daraufhin weitreichende Entscheidungen für ihre Behandlung in der ungewissen Zukunft treffen. Die Klienten brauchen konkrete Beispiele, um darüber nachdenken zu können. Gesprächsbegleiter sollten sich die Krankheitsanamnese des Klienten zu nutze machen und anhand der Vorerkrankungen passende Beispiele wählen. Oft haben die Klienten schon ihre eigenen Befürchtungen und Sorgen deswegen.
Im Folgenden werden einige solche Beispiele für häufigere lebensbedrohliche Krankheitsbilder bei älteren Menschen in Pflegeeinrichtungen dargestellt. Sie könnten mit lebenserhaltenden Maßnahmen behandeln werden, falls der Klient dies will.
E i n i g e K r a n k h e i t b i l d e r
Herzinfarkt. Eine Herzkranzarterie (Koronarie) verschließt sich und die Durchblutung des davon abhängigen Muskels wird behindert. Symptome: Man hat oft (aber keineswegs immer) Schmerzen hinter dem Brustbein, die (nicht unbedingt) nach links ausstrahlen. Schwäche, Schwindel, Übelkeit sind häufig. Es kann zum plötzlichen Kreislaufstillstand und Sekundenherztod kommen. Behandlung: Wenn der Patient (ggf. unter Reanimation) möglichst schnell die Klinik erreicht, kann man durch Herzkatheter die Koronarien eröffnen und durch Stents offen halten. Eine lebenslange Blutverdünnung (Antikoagulation) ist danach erforderlich. Prognose: Wer schon einmal einen Herzinfarkt erlitt, hat ein höheres Risiko für weitere Herzinfarkte oder andere Arteriosklerosekrankheiten.
Herzinsuffizienz, Herzmuskelschwäche. Alle Krankheiten, die sich am Herz abspielen oder das Herz überlasten, führen irgendwann zur Herzinsuffizienz. Das Herz kann die Kraft für die erforderliche Blutbewegung des Blutkreislaufs nicht mehr aufbringen. Symptome: Bei körperlicher (manchmal auch schwerer psychischer) Belastung kommt es zu Atemnot und Schwächegefühl. Die Wegstrecken werden kürzer und Steigungen oder Treppen werden zum Hindernis. Da sich das Blut vor dem schwachen Herz staut, kommt es zu Wassereinlagerungen in die Beine oder ins Rippenfell. Behandlung: Man entlastet das Herz z.B. durch Blutdrucksenkung, Entwässerung und Senkung der Pulsfrequenz. Es gibt auch technische Möglichkeiten, z.B. durch spezielle Herzschrittmacher. Prognose: Irgendwann führt jede Herzinsuffizienz zum Tod.
Apoplex, Hirnschlag. Entweder wird (a) eine Hirnarterie durch ein Blutgerinnsel verschlossen oder (b) es reißt eine Hirnarterie und es kommt zur Blutung ins Gehirn. Das Gehirn verträgt weder (a) einen Stopp der Durchblutung, der länger als 5 Minuten dauert noch (b) eine Blutung, weil es im engen Schädelknochen eingequetscht wird. Symptome: Es kommt zu Bewusstseinsstörungen und Lähmungen, Sprachstörungen, Schwindel; es kann ein plötzlicher Tod eintreten. Behandlung: Wenn man möglichst schnell in eine Stroke Unit kommt, wird dort versucht, den Hirnschaden möglichst klein zu halten (z.B. Entfernung des Gerinnsels durch Katheter und Medikamente, Operation der Blutung). Wichtig ist die frühe Rehabilitation, weil das verbleibende gesunde Gehirn viele Funktionen neu lernen und übernehmen kann. Prognose: Wer schon einmal einen Apoplex hatte trägt ein größeres Risiko für einen weiteren.
COPD, chronische obstruktive Bronchitis mit Lungenemphysem. (a) Die Bronchien werden langsam enger und (b) das Lungengewebe wird vermindert. (a) Die Luftbewegung beim Atmen wird erschwert und (b) es kommt weniger Sauerstoff durch das Lungengewebe ins Blut. Die Hauptursache ist Zigarettenrauchen. Akute Probleme entstehen bei den häufigen Verschlimmerungen (Exazerbationen) durch Atemwegsinfekte. Symptome: Atemnot bei Belastung, Husten, Auswurf, häufige und langdauernde Atemwegsinfekte. Behandlung: inhalative Bronchienerweiterer (Sprays), ggf. Kortisontabletten und Antibiotika, auch Sauerstoffgabe, kurzfristige Beatmung. Das Zigarettenrauchen ist einzustellen. Prognose: Langfristig stirbt man an COPD oder deren Begleiterkrankungen (z.B. Herzinfarkt, Herzinsuffizienz, Pneumonie, Muskelschwäche, Lungenkrebs).
Pneumonie, Lungenentzündung. Die Körperabwehr bekämpft Bakterien oder Viren im Lungengewebe. Bei der Aspirationspneumonie (Lungenentzündung durch Verschlucken) können Nahrungsbestandteile oder Tabletten die Bronchien verschließen. Aspirierte Magensäure führt zu Verätzungen der Atemwege und Lungenbläschen. Symptome: Husten auch ohne Auswurf, Atemnot, Schwäche, Verwirrtheit. Fieber kann bei älteren Menschen fehlen. Behandlung: Sehr schnelle Gabe von Antibiotika, kontrollierte Flüssigkeitszufuhr, Sauerstoffgabe, ggf. kurzzeitige Beatmung. Prognose: Bei alten Menschen ungünstig. Durch den Sauerstoffmangel sind zusätzliche Herz- und Hirnschäden möglich.
Lungenembolie. Aus einer Vene löst sich ein Blutgerinnsel, z.B. bei Beinvenenentzündung oder chronischem Blutstau in den Venen. Das Gerinnsel bleibt in den Lungenblutgefäßen hängen und führt zum akuten Lungenhochdruck. Symptome: Atemnot in Ruhe, drückender Schmerz in der Brust, hohe Pulsfrequenz, Schwindel und Kreislaufprobleme. Es kann zum Sekundenherztod kommen. Behandlung: Möglichst schnelle Auflösung des Blutgerinnsels durch Medikamente, Sauerstoffgabe, ggf. Beatmung. Anschließend langdauernde Blutgerinnungshemmung. Prognose: Abhängig (a) von der Größe des Gerinnsels und (b) von der Effektivität seiner Auflösung. Ggf. resultieren Dauerschäden durch chronischen Lungenhochdruck.
Diabetes, Blutzuckerkrankheit. Ein exzessiv hoher Blutzucker (diabetisches Koma) wird erst nach einigen Stunden langsam lebensbedrohlich. Eine Unterzuckerung (Hypoglykämie) ist akut lebensbedrohlich durch die Mangelversorgung des Gehirns. Das Gehirn braucht neben Sauerstoff vor allem Zucker. Symptome (Hypoglykämie): Schwindel, Sehstörungen, Sprechstörungen, Kreislaufschwäche, Ohnmacht. Behandlung (Hypoglykämie): Möglichst schnelle Zuckerzufuhr (Glucose), ggf. intravenös. Prognose (Hypoglykämie): Nur dann gut, wenn sie nicht zu lange andauert.
Urosepsis, meist Nierenbeckenentzündung mit Streuung ins Blut. Häufig bei Inkontinenz oder dauerhaftem Blasenkatheter, auch bei Prostatavergrößerung. Symptome: Anfangs oft symptomfrei, Fieber kann fehlen. Müdigkeit, Schwindel, Appetitlosigkeit, diffuse Schmerzen im Unterbauch oder Rücken. Sichtbare Änderung der Urinqualität. Behandlung: Kontrollierte Flüssigkeitstherapie intravenös, Antibiotikum, Schmerztherapie. Prognose: Nur bei rechtzeitiger Diagnosestellung gut.
Knochenbrüche (Frakturen). Bei Gangunsicherheit und Schwindel gibt es oft Stürze. Akut lebensgefährlich sind Hüft- und Beckenfrakturen, weil dabei größere Blutmengen aus dem Knochen ins umgebende Gewebe fließen. Symptome: Es kommt zum Kreislaufversagen. Die Frakturen verursachen oft maximale Schmerzen. Behandlung: Umgehende chirurgische Versorgung, ausreichende Schmerztherapie. Die Prognose ist nur gut bei hinreichender Behandlung. Unbehandelte Hüft- oder Beckenfrakturen führen zur Immobilität.
Diese kleine und knapp gehaltene Liste ist selbstverständlich nicht komplett und ersetzt auch kein Lehrbuch. Sie soll lediglich als Hilfe bei der Gesprächsführung zum ACP dienen.
N o t a r z t
Bei akut lebensbedrohlichen Erkrankungen muss in den Heimen der Notarzt gerufen werden. Seine Hauptaufgabe ist es, den Patienten lebend (und möglichst mit unbeschädigtem Gehirn) auf die nächste Intensivstation zu bringen. Dazu stellt er den Blutkreislauf wieder her (z.B. durch intravenöse Medikamente, Herzdruckmassage) und sättigt das Blut mit Sauerstoff (z.B. durch Intubation, Beatmung, Sauerstoffzufuhr). Er hat aber auch die Aufgabe akute Schmerzen oder den hypoglykämischen Schock zu behandeln oder den Patienten mit Schlaganfall schnell in die Stroke Unit zu bringen.
In der ACP-Gesprächsbegleitung muss völlig klar werden, was der Notarzt nicht tun soll. Einerseits soll der sogenannte Drehtüreffekt verhindert werden, bei dem der Patient mit instabiler Gesundheit immer wieder in einer Notaufnahme vorgestellt und von dort umgehend ins Heim zurückverlegt wird. Andererseits darf der Wille des Klienten nicht übergangen werden, der ein Abwehrrecht für (seiner Meinung nach) unangemessene medizinische Handlungen hat. Wenn sich der Klient trotz Beratung zu einem lebensbedrohlichen Krankheitsbild weiter unsicher fühlt, ist der behandelnde Hausarzt hinzuzuziehen. Er kennt die Krankheiten des Klienten am besten und freut sich, wenn seine Kompetenz gefragt ist.