Eine 43-jährige Frau mit weit fortgeschrittenem Adenokarzinom wahrscheinlich der Lunge kam wegen schwerster Schmerzen zur Aufnahme. Neben Lebermetastasen und multiplen Hautmetastasen besteht eine ausgedehnte Skelettmetastasierung.
In Kooperation mit der Schmerzambulanz (Klinik für Anästhesiologie) erreichen wir schon am ersten Tag eine Reduktion des Dauerschmerzes (VAS 1 10 → 5) durch periphere Schmerzmittel, i.v.-Opiate, Psychopharmaka und Bisphosphonat. In den nächsten Tagen kann durch knochengängige Radionuklide (Klinik für Nuklearmedizin) der Dauerschmerz in den erträglichen Bereich gesenkt werden (VAS 5 → 3).
Problematisch bleiben die Schmerzspitzen bei Bewegung und Lagerung, die durch prophylaktische Schmerztherapie zwar zu bessern sind. Diese Akutmedikation führt jedoch regelmäßig zu langen Schlafperioden mit Hypoventilation trotz Sauerstoff und Bilevel-CPAP 2-Maske. Wir besprechen das Problem mit der einwilligungsfähigen Patientin: Sie will möglichst wenig Schmerzen haben. Das Risiko der Todes durch respiratorische Insuffizienz nimmt sie in Kauf. Auf gar keinen Fall will sie eine Intubation oder Verlegung auf eine Intensivstation.
Nun kommt es bei der üblichen morgendlichen Lagerung offensichtlich zu einer pathologischen Fraktur des Beckenrings. Die Patientin schreit vor Schmerz. Wir erhöhen die Analgetika-Dosierung incl. der i.v.-Opiat-Gabe. Die Patientin wird schmerzfrei und schläft ein. Sie wacht nicht mehr auf. Im Team wird nach ihrem Tod heftig diskutiert: War das nicht aktive Sterbehilfe? Ist dieses Vorgehen zu rechtfertigen?
ANALYSE: (a) Beschreiben Sie die Situation; (b) analysieren Sie den Fall anhand der Prinzipien von Beauchamp & Childress.
ABWÄGUNG: Welches Prinzip hat angesichts der Situation den Vorrang? Wodurch genau unterscheidet sich aktive Sterbehilfe (juristisch: Tötung auf Verlangen) von adäquater palliativer Therapie (juristisch: indirekte Sterbehilfe)?
ENTSCHEIDEN Sie sich bitte: Welche Entscheidung dient am besten dem Patientenwohl?
A n m e r k u n g e n
1 VAS: Visuelle Analogskala
2 Bilevel-CPAP: positiver Atemwegsdruck mit Inspirationshilfe