Eine 89-jährige, untergewichtige, polymorbide Frau (176 cm, 48 kg) wird mit Pneumonie aus dem Pflegeheim zu uns verlegt. Sie ist zu diesem Zeitpunkt somnolent, respiratorisch und kardial insuffizient aber kreislaufstabil. Diabetes mellitus, arterielle Hypertonie, Herzinsuffizienz, Niereninsuffizienz sind aus der Anamnese bekannt.
Unter i.v-Antibiotika bessert sich die Pneumonie im Verlauf der ersten Woche. Durch Medikamente (Diuretika, ACE-Hemmer) lässt sich die Herzinsuffizienz rekompensieren. Die Patientin wird wacher. Allerdings lässt sich die Patientin nicht füttern; wir ernähren sie deshalb intravenös. Immer wieder kommt es zur zeitweiligen Desorientiertheit. Auf Nachfrage bestand diese auch schon im Pflegeheim, dies wird von den beiden Töchtern bestätigt. Der psychiatrische Konsiliararzt bestätigt aber die Einwilligungsfähigkeit.
Die Entlassung steht an und der Hausarzt der Patientin schlägt uns vor, zur Verbesserung der Ernährungssituation eine PEG 1 anzulegen. Das sei im Pflegeheim so üblich. Wir sprechen mit der Patientin; sie lehnt in ihren wachen Augenblicken alle weiteren medizinischen Eingriffe strikt ab und will möglichst „heute noch heim“. Sie habe sich schon im Pflegeheim nicht mehr füttern lassen, weil sie „überhaupt nicht mehr leben“ wolle. Worauf sie besteht, sind besondere Schnapspralinen und täglich ein Schoppen Juliusspitäler Silvaner.
Die beiden Töchter sind von der Situation völlig überfordert: „Wir können doch unsere Mutter nicht verhungern lassen!“ Erst jetzt bringen sie die Patientenverfügung (die auch dem Pflegeheim vorliegen soll). In dieser wird auf die vielen bestehenden Erkrankungen eingegangen (Diabetes, Hypertonie, Herzinsuffizienz, Niereninsuffizienz), es werden lebensverlängernde Medikamente, künstliche Ernährung, Dialyse, Herzschrittmacher und Beatmung ausdrücklich abgelehnt.
ANALYSE: (a) Beschreiben Sie die Situation; (b) brauchen wir die Patientenverfügung?; (c) sehen Sie eine Indikation für eine PEG?; (d) analysieren Sie den Fall anhand der Prinzipien von Beauchamp & Childress.
ABWÄGUNG: Welches Prinzip hat angesichts der Situation den Vorrang?
ENTSCHEIDEN Sie sich bitte: Welche Entscheidung dient am besten dem Patientenwohl?
Anmerkung
1 PEG: Perkutane endoskopische Gastrostomie