Bei einem Dialyse-Patienten wird zufällig ein Lungenrundherd festgestellt. Er leidet neben seiner Niereninsuffizienz an einem Diabetes mellitus (eingestellt mit Insulin), an einer schweren arteriellen Hypertonie, an einer renalen Osteopathie mit Brustwirbelkörperfrakturen, an einem Z.n. Herzinfarkt mit mittelgradiger Herzinsuffizienz, an einem Z.n. Apoplex (Rollstuhlfahrer).
Der Lungenrundherd wird als Adenokarzinom der rechten Lunge diagnostiziert. Die Staging-Untersuchungen ergeben ein lokal weit fortgeschrittenes Stadium (Klinisches Stadium IIIB). Der Tumor ist also nicht mehr operabel, hat jedoch noch nicht metastasiert. Er wäre einer Chemostrahlentherapie zugänglich.
Bei den vorliegenden Erkrankungen besteht aber ein erhebliches medizinisches Risiko für unkontrollierbare Folgeschäden:
(1) Geringe Elimination des Zytostatikums über die Dialyse mit der wahrscheinlichen Folge einer protrahierten toxischen Leukopenie,
(2) Entgleisung des Diabetes bei häufigen Kortikosteroidgaben im Rahmen der begleitenden antiemetischen Therapie,
(3) grenzwertig schlechter körperlicher Zustand (Karnofsky-Status 60%).
Der medizinische Nutzen der Chemostrahlentherapie ist also fraglich, die Patientenbelastung wäre sehr groß. Andererseits liegt die Lebenserwartung ohne Chemostrahlentherapie bei etwa 8 Monaten, mit Therapie (nach Studienlage) bei etwa 25 Monaten. Der Patient selbst bleibt unentschieden.
ANALYSE: (a) Beschreiben Sie die Situation; (b) analysieren Sie den Fall anhand der Prinzipien von Beauchamp & Childress; (c) können Sie die genannten Studienergebnisse auf Ihren Patienten beziehen?
ABWÄGUNG: Welches Prinzip hat angesichts der Situation den Vorrang? Vielleicht hilft Ihnen eine Nutzen-Schaden-Analyse.
ENTSCHEIDEN Sie sich bitte: Welche Entscheidung dient am besten dem Patientenwohl? Besteht eine gute eine Therapie-Indikation?