Alle Menschen machen immer wieder Fehler, das gilt auch für die Arbeit im Krankenhaus. Ein fehlerloses Krankenhaus ist eine Utopie, man kann Fehler und deren Folgen lediglich minimieren. Inzwischen weiß man, dass die persönliche Schuldzuweisung von Fehlern die Fehlerhäufigkeit einer Klinik insgesamt nicht senkt. Krankenhausbereiche mit „Sicherheitskultur“ (s.u.) haben hingegen die niedrigste Fehlerquote, d.h. Sicherheitskultur erhöht die Patientensicherheit.
Um welche Fehler geht es?
Ein unerwünschtes Ereignis (Adverse Event) ist ein schädliches Vorkommnis bei der Arbeit am Patienten. Ein vermeidbares unerwünschtes Ereignis (Preventable Adverse Event) hätte bei optimalen Bedingungen vermieden werden können. Ein kritisches Ereignis bei der Arbeit (Critical Incident) hätte zu einem unerwünschten Ereignis führen können. Ein Fehler bei der Arbeit (Error) ist die Handlung, bei der eine Abweichung vom Plan, ein falscher Plan oder kein Plan vorliegt. Ob daraus ein Schaden am Patienten entsteht, ist zunächst irrelevant. Beinahe-Schaden am Patienten (Near Miss) sind Fehler, die zu einen Schaden hätten führen können. Der eingetretene Schaden am Patienten ist ein Behandlungsfehler.
Fehlerdispositionen
Wir kennen drei individuelle und Umgebungsvariable, die das Risiko für kritische Ereignisse, Fehler, Beinaheschäden und Schäden im Krankenhaus steigern:
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Individuelle Fehler-Dispositionen sind z.B. Behinderungen, langsames psychisches und körperliches Tempo, fehlenden Langzeitausdauer, geringe emotionale und körperliche Belastbarkeit, reduzierte Stressbarkeit, etc.
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Technische Fehler-Dispositionen sind z.B. ungeeignetes, defektes, unsicheres Gerät, ungenügende Wartung, problematische Mensch-Maschine-Schnitt-stellen, fehlende Einarbeitung oder Schulung, falsche Anwendung, etc.
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Das komplexe System Krankenhaus disponiert zu Fehlern: verknüpfte, gekoppelte Abläufe, enge Taktung von Arbeitsschritten, dynamische Änderung des Problems im Zeitverlauf, undurchsichtige oder parallele Zuständigkeiten, etc.
Strukturelle Fehlerebenen
Auf vier Ebenen der Arbeit ereignen sich die kritischen Ereignisse, Fehler, Beinaheschäden und Schäden im Krankenhaus:
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Ebene der Fähigkeiten/Fertigkeiten
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Ebene der Regeln
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Ebene des Wissens
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Die vierte Ebene, die Ebene der absichtlichen Fehlhandlungen (grobe Fahrlässigkeit, bewusste Inkaufnahme von Patientenschädigung, Sabotage) lassen wir für unsere Diskussion beiseite.
Sicherheitskultur
Der Mitarbeiter macht seine individuellen Fehler in seinem komplexen Arbeitsumfeld. Diese Fehler sind meist für den Patienten harmlos, d.h. schnell beherrschbar ohne schädliche Folgen. Man schätzt, dass in einem High Risk Environment (wie es Krankenhäuser sind) auf 300 kleine, beherrschbare Fehler etwa 29 Fehler mit erkennbarem Schaden kommen und ein Fehler mit katastrophalen Folgen. Übliches Fehlermanagement (oder Beschwerdemanagement) kümmert sich nachträglich um die schweren Fehler und versucht die Folgen für Patient, Mitarbeiter und Krankenhaus zu begrenzen. Risikomanagement (oder besser Sicherheitsmanagement) kümmert sich präventiv um die vielen kleinen Fehler und versucht fehlerverhindernde und fehlerfolgendämpfende Sicherheitsstrukturen aufzubauen.
Ein typisches Critical Incident Reporting System [CIRS] erfasst kritische Ereignisse bei der Arbeit (Critical Incident), Fehler bei der Arbeit (Error) und Beinahe-Schäden am Patienten (Near Miss). Das CIRS muss anonyme Meldungen annehmen können, die keinen Rückschluss auf die Identität des Meldenden erlauben (es sei denn, dieser wünscht ausdrücklich eine Rückmeldung). Wer dem CIRS Ereignisse meldet, darf daraus keine persönlichen oder zivilrechtlichen Nachteile erleiden.
Ist hingegen ein erkennbarer Schaden am Patienten aufgetreten, besteht ein Behandlungsfehler und damit ein juristisch relevanter Straftatbestand.
Das CIRS ist nur ein Informationswerkzeug. Das Krankenhaus aber muss aus gemeldeten Fehlern lernen, um eine Sicherheitskultur zu entwickeln. Alle CIRS-Meldungen müssen deshalb von den zuständigen Spezialisten (Ärzte, Pflegende, technische Berufe, Verwaltung) diskutiert werden. Daraus sind Fehlerkorrekturen zu entwickeln und durchzusetzen. Dazu braucht man Entscheidungsgremien aus den erfahrensten Mitarbeitern der Arbeitsebenen. Die verbesserte Patientensicherheit wird es nicht kostenfrei geben. Primäres Ziel bleibt die Sicherheit des Patienten (safety first), nicht der Schutz der Institution Krankenhaus.
A n m e r k u n g
Ausführliche Literaturverweise in meinen Büchern.