Wir finden das Wort "Macht" im eher negativen Zusammenhang von Herrschaft, Zwang, Drohung, Gewalt vor. In der deutschen Sprache kommt es jedoch von althochdeutsch magan, d.h. das Können, die Fähigkeit zu etwas. Scheint Macht eher ein motivierendes Potential als eine einschüchternde Drohung darzustellen?
Was ist Macht?
Schon Marcus Tullius Cicero unterschied zwei Formen von Macht, die Amtsgewalt (potestas) und das Ansehen (auctoritas). Beide könnten etwas Gutes bewegen, leider seien sie selten in einer Person vereint. Eine neuere Definition stammt vom Soziologen Max Weber:
«Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf die Chance beruht.»
Die Philosophin Hannah Arendt trennt Macht von Gewalt, um sie analysieren zu können. Macht sieht sie als eine motivierende Kraft, zusammen mit Anderen zu handeln. Macht ist kein Selbstzweck; sie wird verwendet, um gemeinsame Ziele zu erreichen und benötigt nie Gewalt. Sie ist innerhalb der Gruppe legitimiert, alle folgen freiwillig und einvernehmlich. Gewalt hingegen benötigt keine freien Menschen, es steht oft einer gegen alle. Sie bedarf der technischen und menschlichen Werkzeuge, um Zwang ausüben. Sie ist nie legitimiert. Zusammen mit der Politologin Hanna F. Pitkin unterscheidet sie also zwischen einer ermöglichenden, schöpferischen Macht (power to) und einer gewalttätigen, unterdrückenden Macht (power over).
Der Anthropologe Helmuth Plesser sieht Macht in allen menschlichen Beziehungen. Es gebe ständig einen Kampf um Anerkennung und Rang: Macht sei eine anthropologische Konstante. Für den Soziologen Niklas Luhmann ist Macht ein zentrales Kommunikationsmedium in Gesellschaften. Sie erhöht die Verlässlichkeit und stabilisiert ein System. Der Philosoph Michel Foucault sieht Macht überall in menschlichen Gesellschaften, wir können ihr nicht entgehen. Sie forme den Menschen in Familie, Schule, Beruf. Jede Macht beeinflusse das Entscheiden und Handeln von anderen, oft von vielen. Gewalt hingegen richte sich gegen Dinge und Körper. Foucault assoziiert Macht oft mit Herrschaft.
Macht in der Klinik
Innerhalb einer medizinischen Institution gestehen wir dem und der Vorgesetzten „power to“ zu; sie ist durch ihr oder sein Amt legitimiert. Wir erwarten, dass sie oder er diese Macht für die Patienten und für die Mitarbeiter nutzt. Falls diese power over gegen die Mitarbeiter genutzt wird, hinterfragen wir diesen Machtanspruch, unterlaufen ihn heimlich oder gehen in eine Opposition. Ihre/seine power to schwindet parallel zum Einsatz einer power over. Falls sie/er aber seine power over gegen Patienten ausübt, missachtet sie/er die Patientenautonomie und handelt als harte Paternalistin/ harter Paternalist.
Psychische oder körperliche Gewalt gegenüber Patienten sind schwere Eingriffe in deren Autonomie: Der Patient wird gezwungen, gegen seinen eigenen Willen zu handeln oder ein Arzt oder Pflegende handeln an ihm gegen seinen Willen. Das ist eine Zwangsbehandlung und (da ohne Zustimmung) ggf. als Körperverletzung zu gewichten. Man kann den Schutz der Menschenwürde als Schutz vor Demütigung betrachten. Zwang demütigt den Patienten und ist somit ein Angriff auf seine unveräußerliche Würde.
Gewalt
Empirische Daten zur ärztlichen Gewalt sind spärlich und auf Einzelfälle beschränkt, was nicht heißt, dass dies kein Problem für die Profession darstellen könnte. Auch in den letzten Jahren wurde z.B. immer wieder über sexualisierte Gewalt an Patientinnen berichtet. Hingegen findet man in jüngster Zeit systematische Erhebungen zur Gewalt in der Pflege. Von 250 Befragten berichteten 80% von verbaler Aggression, 57% von Vernachlässigung, 46% von körperlicher Gewalt, 23% von nicht angeordneten freiheitsentziehenden Maßnahmen und 21% von finanziellen Übergriffen. Es muss nicht speziell begründet werden, dass sich daran etwas ändern muss.
Power to im Team
Was wir als medizinische Teamarbeiter also brauchen ist power to. Die zweifellos immer vorhandene ärztliche und pflegerische Macht muss für das Patientenwohl eingesetzt werden. Diese power to sollte der Vorgesetzte haben.
Erforderliche Macht
Bei der Arbeit am Patienten ist power to sowohl für den Patienten als auch innerhalb des Behandlungsteams sogar erforderlich.
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Man kann seinen fachlichen und persönlichen Einfluss in der Kommunikation mit dem Patienten und seinen Angehörigen dazu einsetzen, das individuelle Patientenwohl herauszuarbeiten, das umsetzbare Therapieziel zu definieren und eine Behandlung zu finden und anzuwenden, die diesem Patientenwohl am besten dient.
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Man wird seine power to auch dringend benötigen, um innerhalb der Strukturen des Gesundheitswesens gegen die vielfältigen Verzögerungen, Hindernisse, Sackgassen und angeblichen Sachzwänge die Entscheidungen zu erreichen, die dem individuellen Patientenwohl am ehesten dienen.
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Innerhalb des Teams ist Autorität unabdingbar; sie wird regelrecht erwartet. Sie beruht auf fachlicher und sozialer Kompetenz ebenso wie auf der Würde eines Amtes. Sie fördert die Mitarbeiter, die ja besser Mitdenker werden sollten (was einem Vorgesetzten die Arbeit und die Verantwortung erheblich erleichtert).
A n m e r k u n g
Ausführliche Literaturverweise in meinen Büchern.