D e r a l t e P a r a g r a p h
Das Bundesverfassungsgericht hat am 26. Februar 2020 einen umstrittenen Paragraphen im Strafgesetzbuch als nicht verfassungskonform für ungültig erklärt, den § 217, das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung. Dieser Paragraph hatte vor allem durch die Formulierung »geschäftsmäßig« für viel Verwirrung gesorgt.
§ 217 StGB Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung
(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.
»Geschäftsmäßig« bedeutet dabei, die Suizidassistenz werde nicht nur einmal, sondern häufiger angeboten.
Die Entscheidung
Nun stellte das BVerG fest, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben beinhalte. Suizid sei also straffrei und eine Beihilfe zu einer nicht strafbaren Handlung sei ebenfalls straffrei. Damit müsse es auch Ärzten erlaubt sein, Assistenz zum Suizid zu leisten. Darüber dürfte sich auch die Musterberufsordung der der Bundesärztekammer nicht hinwegsetzen. Dort stand bisher:
§ 16 Beistand für Sterbende
Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.
Das BVerG fordert jetzt nicht nur »eine konsistente Ausgestaltung des Berufsrechts der Ärzte und Apotheker, sondern möglicherweise auch Anpassungen des Betäubungsmittelrechts.« Die Verordnung einer letalen Dosis eines Betäubungs- oder Schmerzmittels war bisher strafbar, ebenso die Abgabe. Auf Ministerebene war die zuständige Behörde aufgefordert worden, solche Abgaben zu verhindern.
Unser ärztliches Ethos
Nun haben wir Ärzte aber eine Berufsethik, wie sie seit wenigstens 2400 Jahren im Eid des Hippokrates dokumentiert ist. Dort seht:
Ich werde niemandem, auch nicht auf seine Bitte hin, ein tödliches Gift verabreichen oder auch nur dazu raten.
Allerdings steht im folgenden Satz des Eides auch, dass man keine Schwangerschaftsabbrüche vornehme, und da sind wir in den siebziger Jahren nach heftigsten Diskussionen vom Eid abgewichen. In der Erklärung vom Chicago 2017 klingt es beim Weltärztebund etwas weniger konkret:
Ich werde den höchsten Respekt vor menschlichem Leben wahren.
Die Intention ist aber deutlich: Ärzte dienen dem Leben und nicht dem Tod. Tötungen sind mit unserem Ethos unvereinbar und das hat seine Berechtigung. Wir haben zu heilen, Leiden zu mindern, Krankheitsprophylaxe zu versuchen. Darauf müssen sich unsere Patienten verlassen können. Sterben gehört zum Leben, Sterbebegleitung und gute palliative Versorgung sind deshalb eindeutig ärztliche Aufgaben. Da gibt es Therapieziele, die wir Ärzte für ethisch gerechtfertigt halten, z.B. Schmerzfreiheit, Reduktion von Atemnot und Übelkeit, Angstfreiheit.
Therapieziele
Bei einem ärztlich assistierten Suizid wäre das Therapieziel Tötung und der Weg zum Ziel bestünde in der tödlichen Dosierung diverser Medikamente. Bei der Tötung auf Verlangen würde der Arzt selbst tätig. Beim assistierten Suizid bereitet der Arzt alles vor und der Klient selbst muss tätig werden. Der Effekt, die Tötung, bleibt derselbe. In beiden Fällen stellt der Arzt eine Indikation zur Tötung. Die meisten deutschen Ärzte halten diese Beihilfe für inakzeptabel (2010 in einer Allensbach-Umfrage 62%), aber etwa 30% könnten sich das vorstellen.
Autonomie des Klienten/Patienten
Das BVerG geht von der vollständigen Selbstbestimmung des Klienten aus. Ärzte haben aber immer mit mehr oder weniger autonomen Menschen zu tun, denn Krankheit kann un-autonom machen, man denke nur an eine Depression oder andere psychische Erkrankungen. Das Problem sieht auch das Gericht und fordert indirekt fachärztliche Untersuchung und Beratung dessen, der sich selbst töten wolle. Damit entsteht eine ähnliche Situation wie beim Schwangerschaftsabbruch, der ja eine Tötung frühen menschlichen Lebens bedeutet. Diese ist nicht erlaubt, wird aber nach Beratung und bei diversen Auflagen geduldet. Ein Suizid ist erlaubt, die ärztliche Assistenz wird nun straffrei, aber nur mit Beratung und unter noch zu entwickelnden Auflagen.
Rolle des Arztes
Immerhin darf es laut BVerG keine Verpflichtung zur Suizidbeihilfe geben, d.h. Ärzte können nicht dazu gezwungen werden. Von der »ärztlichen Bereitschaft wird man bei realistischer Betrachtung nur im Ausnahmefall ausgehen können. Das Gericht erwartet offensichtlich, dass sich die »bislang« geringe Bereitschaft wandeln werde oder sich die in der Allensbach-Umfrage genannten 30% der Ärzte zur Verfügung stellen könnten. Damit hat das BVerG die Entscheidung zur Suizidassistenz auf das individuelle Gewissen der Ärzte verlagert.
Es hatte seinen guten Grund, wenn der Weltärztebund 2017, leider etwas pathetisch, an die Ehre und die edlen Traditionen des Berufes erinnerte. Unsere Patienten, auch jene, die eben nicht völlig autonom sein können, müssen darauf vertrauen dürfen, dass wir ihr Leben in allen Situationen achten, d.h. heißt auch in ihrem letzten Lebensabschnitt. Sie dürfen deshalb nicht in die Hände von kommerziellen Suizid-Anbietern fallen. Durch fachärztliche Untersuchung und Beratung sollten wir die tatsächliche Autonomie des Klienten sicherstellen, am besten durch zwei unabhängige Kollegen. Ein dritter Kollege soll dann das Rezept der letalen Medikation ausstellen. Wie dann die Einnahme des Cocktails vor Ort gestaltet wird, liegt beim Klienten/Patienten. Es darf jedenfalls nie auch nur der Verdacht einer Tötung auf Verlangen (aktive Sterbehilfe) aufkommen. Für einen solchen geregelten Ablauf hat nun der Gesetzgeber die Rahmenbedingungen festzulegen. Und wir entscheiden nach unserem besten Wissen und Gewissen, wie es das BVG offensichtlich erwartet.
A n m e r k u n g
Ausführliche Literaturverweise in meinen Büchern.