Sein Leben
Aureolus Philippus Theophrastus Bombast von Hohenheim wurde 1493 oder 1494 in der Nähe des Schweizer Klosters Maria-Einsiedeln geboren. Sein Vater Wilhelm Bombast von H. arbeitete für das Kloster als Arzt, die Mutter wahrscheinlich als Krankenpflegerin im Spital des Klosters. Theophrast war das einzige Kind; er genoss eine ungewöhnlich reiche Bildung und immatrikulierte sich mit 16 Jahren an der Universität Basel. In Ferrara will er im 22. Lebensjahr vom berühmten Arzt Leonicenus zum Doktor beider Arzneien promoviert worden sein. Es folgten ausgedehnte Reisen durch Italien, die Balkanländer, Ungarn, Polen, Preußen, Rußland, Schweden, Dänemark, Holland, Frankreich, vielleicht auch Rhodos, Spanien, Portugal und England. In dieser Zeit begann er sich »Paracelsus« zu nennen und zu publizieren.
Sein weiteres Leben war unstet: 1524 arbeitete er als Arzt in Salzburg, 1526 in Straßburg, 1527 als Stadtarzt in Basel. Dort wollte er sich an der Universität als Professor habilitieren; das wurde von der Fakultät strikt abgelehnt. Man war in unruhigen Zeiten mit der Konservierung des wissenschaftlichen Kanons vollauf beschäftigt und wollte Neuerungen nicht dulden. 1528 ging er nach Colmar, 1529 nach Nürnberg, 1534 nach Innsbruck, Sterzing und Meran. 1535 gelangte er über Pfäfers, Memmingen, Ungershausen, Mindelheim nach Augsburg. 1537 war er in Eferding, Mährisch Kromau, Znaim und Wien, 1538 in Villach, St. Veit und Klagenfurt. 1541 ist er im wahrscheinlich 48. Lebensjahr in Salzburg gestorben und dort begraben worden.
Die Vermutung, er habe an einer tödlichen, chronischen Quecksilbervergiftung gelitten, ist wohl nicht zutreffend. Paracelsus selbst hat mehrfach über Quecksilber publiziert, sowohl was die Vergiftung der Bergleute, als auch die Überdosierung in der Therapie des Syphilis betraf. Wahrscheinlicher ist eine Eigentherapie wegen der »französischen Krankheit«. Andere Quellen sprechen von einem Sturz mit tödlichen Folgen.
Paracelsus liebte die Freiheit, sowohl die von herrschaftlichem Zwang als auch die für freies Denken. Sein Wahlspruch war: »Alterius non sit qui suus esse potest« (Wer sein eigener Herr sein kann, soll sich nicht von einem anderen abhängig machen). Der Preis für diese Lebenseinstellung war seine Heimatlosigkeit. Allerdings konnte er sich so von kanonisierten Lehrmeinungen und jahrhundertealter Praxis befreien und in neue wissenschaftliche Gefilde aufbrechen. Jemand wie Paracelsus musste immerzu auf Widerstand stoßen. Er war offensichtlich gerne ein Provokateur, der den scharfen Diskurs liebte, obwohl er stotterte, wie es heißt.
Seine Lehre
Paracelsus hat sein Leben lang studiert und neue Hypothesen formuliert. Neben den Fächern Innere Medizin und Chirurgie erlernte Paracelsus Physik, Chemie und Pharmazie, aber auch Astrologie, Philosophie und Theologie. Er sah den Menschen als Teil der Natur, der nur im Ganzen zu verstehen sei, »im Lichte der Natur«. Deshalb darf man sein Wissen nicht nur aus Lehrbüchern erwerben, sondern muss selbst die »Naturkraft« und die Energie (»das Feuer«) der Kranken beobachten. Ein guter Arzt hat Kenntnisse in der Philosophie, der Astrologie, der Alchemie und Physik, sowie der Tugend. Das sind die Säulen des Paracelsus. In seinem Buch Paragranum schreibt er dazu:
»Also ist die arznei im anfang gestanden, das kein theorica gewesen ist, alein ein erfarenheit: das laxirt, das constipirt; was aber, wie aber, ist verborgen gewesen. darumb ist einer verderbt, der ander gesunt worden. so aber iez theoria da ist, so ist es nimer also. scientia get für und ist nimer experimentum fallax. das macht die theoria medica, die in vier seulen stehet: philosophia, astronomia, alchimia und physica«
Der Arzt müsse außerdem redlich sein und er sei immer auf die Gnade Gottes angewiesen, d.h. er müsse gläubig sein. Grundlegend für seine medizinische Erkenntnis sind experientia, experimenta et ratio (Erfahrung, Versuche, Vernunft).
Bei Paracelsus entstehen Krankheiten durch Einfluss der Gestirne (Ens astrorum), durch Gifte (Ens veneni), durch Veranlagung (Ens naturale), durch geistige Einflüsse (Ens spirituale) und durch Gott (Ens dei). Alle fünf Einflüsse müssen vom Arzt gleich wichtig genommen werden, denn sie verstärken die Krankheit durch ihre Kombination. Diese fünf Einflüsse verschieben das Gleichgewicht der Natur, nach Paracelsus zwischen Schwefel (feuriges Prinzip, Energie), Quecksilber (flüchtiges Prinzip, Gase) und Salz (mineralisches Prinzip). Diese Drei-Prinzipien-Theorie löst bei Paracelsus die alte Humoralpathologie ab. Er sieht darin Parallelen zur Dreifaltigkeit Gottes. Geheilt wird der Patient durch alle Maßnahmen, die dieses Gleichgewicht wieder herstellen.
Neu sind seine Konzepte zu Stoffwechselkrankheiten, z.B. zur Gicht oder zur Hypothyreose. Interessant ist auch seine Idee, dass Infektionen durch inkorporierte »Samen« auslöst würden, was als früher Hinweis auf krankmachende Keime gesehen werden kann.
Die Medikamente des Paracelsus beruhen auf seinen chemischen und physikalischen Kenntnissen, die er für Pflanzenextrakte und Mineralien einsetzte. Man kann ihn als Gründer der chemischen Pharmakopoe sehen. Berühmt ist sein Diktum: »Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis machts, dass ein Ding kein Gift sei.« Andererseits beschrieb er magische Analogien zwischen dem Aussehen einer Pflanze und deren Wirkungsweise, ganz in der alten Tradition der Volksmedizin. Da jeder Patient sein eigenes Ungleichgewicht der Natur habe, müsse er sein individuell zubereitetes Medikament bekommen, auch seien Medikamente für Männer und Frauen zu unterscheiden. Wir sehen ein frühes Beispiel individualisierter Medizin.
Seine Publikationen
Paracelsus hat viel geschrieben aber wenig Medizinisches zu Lebzeiten publizieren können. Offensichtlich war eine Veröffentlichung meist zu skandalös oder zu gefährlich. Zu Lebzeiten erschienen sind die medizinischen Werke: Intimatio (Einladung zu seinen Vorlesungen in Basel; 1527); Vom Holtz Guaiaco gründlicher Heylung (zur Syphilis-Therapie; 1529); Von der Frantzösischen kranckheit Drey Bücher (über die Syphilis; 1530); Von dem Bad Pfeffers in Oberschwyz gelegen (über Badekuren; 1535); Der grossenn Wundartzney das erst buch und Der grossenn Wundartzney das ander buch (über die Chirurgie; 1536).
Weitere medizinische Werke erschienen posthum: Elf Traktat vom Ursprung, Ursachen, Zeichen und Kur einzelner Krankheiten (1520); Von der Bergsucht und anderen Bergkrankheiten (1522/23); Herbarius (1525); Von den natürlichen Dingen (1525); Von den drei essentiis (1525); Fünf Bücher De Vita Longa (1526); Philosophia de generationibus et fructibus quartuor elementorumm (1525/26); Archidoxen (Grundsätze der Lehre) (1526); Vorlesungen über tartarische Krankheiten (Steinleiden) (1527/28); Zehn Bücher über Blatern, Lähmi, Beulen und Zitrachten der Franzosen und irs Gleichen; Sieben Bücher von allen offen Scheden (1528); Von Ursprung und Herkommen der Franzosen samt der Recepten Heilung acht Bücher (1529); Spitalbuch (1529); Das Buch Paragranum (zur Philosophie, Astronomie und Alchemie des Arztes) (1530); Prognostik (1529); Ußlegung des Commeten; (1531); Opus Paramirum (zu Sal, Sulfur, Mercurius) (1531); Das medizinische Consilium für Abt Johann Jakob Russinger von Pfäfers (1535); Das Buch von den tartarischen Krankheiten (Steinleiden) (1537/38); Astronomia Magna (1537/38); Die neun Bücher De Natura Rerum (1538); Die Kärtner Schriften (1538); Labyrinthus medicorum oder Vom Irrgang der Ärzte (1538); Sieben Defensiones (1538).
Bei weiteren posthumen Werken ist seine Autorschaft nicht sicher: Liber de nymphis, sylphis, pymaeis et salamandris et de caeteris spiritibus (1566); Das Buch der Erkanntnus (1564); Wundt und Leibartznei (1549); Baderbuechlin (1562); Von der Wundartzney (1577); Kleine Wundartzney (1608); Opus chirurgicum (1581); Opera medico-chimica sive paradoxa (1605); Opera omnia medico-chemico-chirurgica (1658); Philosophia magna, tractus aliquot (1567); Philosophiae et Medicinae utriusque compendium (1568). Daneben gibt es eine Reihe theologischer und astrologischer Texte.
Seine Wirkung
Paracelsus war schon zu Lebzeiten eine Berühmtheit. Er wetterte gegen die traditionelle Vier-Säfte-Lehre der akademischen Medizin: Sie konnte seine empirischen Beobachtungen nicht hinreichend erklären und er wollte seine Erkenntnis nicht an die Lehre anpassen. Seine Archidoxen (grundlegende Lehren) von 1526 wurden leider erstmals 1569 gedruckt, lange nach seinem Tod. Seine Anhänger, die Paracelsisten, verbreiteten seine Lehren, Kurfürsten sammelten seine Schriften. Es entwickelten sich breite Fronten zwischen Theologen, Philosophen, Naturforschern und Ärzten. Paracelsus‘ Lehren dienten auch als Grundlage für magische und mystische Medizinströmungen. Der Streit zwischen der alten Humoralpathologie und der paracelsischen Medizin beschäftigte die medizinische Wissenschaft bis in die Goethe-Zeit.
Wesentliche Forderungen des Paracelsus kann man so zusammenfassen: Der Mensch ist Teil der Natur und seine Krankheiten können nur so verstanden werden. Der Arzt muss die ganze Natur erkennen, um die Ungleichgewichte zu sehen, die einen kranken Menschen charakterisieren. Dieses Gleichgewicht soll der Arzt durch seine Behandlung wiederherstellen. Während die historische Medizin diese Balance durch Gegensätzliches zu erreichen versuchte, will Paracelsus Gleiches mit Gleichem heilen. Und von hier ist es nicht mehr weit zu Samuel Hahnemanns Homöopathie im 19. Jahrhundert.
Mit der Entwicklung der naturwissenschaftlichen Medizin in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verloren die paracelsischen Theorien an Bedeutung und gerieten fast in Vergessenheit. Am Beginn des 20. Jdh. wurde Paracelsus jedoch für die Naturheilkunde wieder wichtig. Später missbrauchten ihn die Nationalsozialisten, die ihn als »deutschen Arzt« inszenierten. Er sollte als Patron für die »Neue Deutsche Heilkunde« herhalten. 1952 stiftete der Deutsche Ärztetag die Paracelsus-Medaille für verdienstvolle Ärzte, es gibt seit 1982 einen Paracelsus-Preis der Schweizerischen Chemischen Gesellschaft. Seit 2002 nennt sich eine Medizinische Hochschule in Salzburg Paracelsus Medizinische Privatuniversität.
Auf uns wirkt Paracelsus zwiespältig wie die krisenreiche Welt, in der er lebte. Historiker klassifizieren diese Zeit als beginnende Neuzeit, den Abschluss des Mittelalters, den Aufwind von Humanismus und Renaissance. Byzanz war gefallen (1453), Amerika war entdeckt (1492), die Maurenherrschaft in Spanien ging dem Ende zu (1492). Politik und Glaube waren im Umbruch, es kam zu einem Aufschwung der Naturkunde, die Kunst ging neue Wege. Paracelsus‘ Zeitgenossen sind z.B. Michelangelo, Raffael, Machiavelli, Erasmus von Rotterdam, Thomas Morus, Martin Luther, Huldrych Zwingli, Johannes Calvin, Nikolaus Kopernikus, Andreas Vesalius.
Bei Paracelsus mischte sich neues mit tradiertem Wissen und er experimentierte gerne. Eigene Erkenntnis und Erfahrung waren ihm stets wichtiger als reines Buchwissen. Schon um sich von der akademischen Medizin abzusetzen bediente er sich einer oft derben deutschen Sprache. Bei ungebrochenem Selbstbewusstsein polemisierte er gerne und ätzend, was ihm sein eigenes Leben schwer machte. Zur akademischen Ehren konnte er es auf diesem Weg nicht bringen. Er blieb ein Wanderarzt, immer auf dem Weg zu Patienten, die seinen Methoden glaubten, oder auf dem Weg zu Verlegern, die seine Traktate und Bücher drucken sollten. Die meisten seiner Schriften wurden posthum publiziert und man kann sich dabei nie sicher sein, ob der berühmte Mann nicht für andere Interessen instrumentalisiert werden sollte. Originär bleibt seine Drei-Substanzen-Theorie, die Schwefel, Quecksilber und Salz als Grundlage aller Natur und deshalb auch der menschlichen Krankheiten sieht. Er entwickelt daraus neue chemische Medikamente, die Gleiches durch Gleiches behandeln: »es gehet die cura durch das das den morbum generirt hat.«
Für uns Heutige sind seine chemisch-physikalischen und naturphilosophischen Werke vielleicht noch historisch interessant. Seine Haltung dem Patienten gegenüber bleibt jedoch für uns wichtig: Jeder Kranke hat seine spezielle Krankheit, die Wurzeln in seinem Leben haben dürfte. Die Diagnostik muss alle diese Aspekte erfassen. Die Therapie wird nur erfolgreich werden, wenn die Natur dieses Menschen in seiner umgebenden Natur berücksichtigt wird. Deshalb braucht der Patient seine individualisierte Behandlung.
A n m e r k u n g